11. April 2022
Das ist eine neue Ära
Weibliche Doppelspitze bei der IG Metall München
Erstes weibliches Spitzenduo: die 1. Bevollmächtigte der IG Metall München, Sibylle Wankel (l.), und die 2. Bevollmächtigte Stefanie Krammer.

AZ: Frau Wankel, Frau Krammer, Sie beide bilden die erste weibliche Doppelspitze bei der IG Metall München. Wie ungewöhnlich ist das heute noch?

SIBYLLE WANKEL: Es war schon vor einem Jahr ungewöhnlich, als ich als 1. Bevollmächtigte gewählt wurde. Stefanie war da bereits Kassiererin, und das war etwas Besonderes, zwei Frauen in der Geschäftsführung der IG Metall München, das hat sich neu und gut angefühlt. Mit der Wahl von Stefanie zur 2. Bevollmächtigten beginnt schon eine neue Ära. Das ist auch innerhalb der IG Metall noch nicht selbstverständlich. Es gibt ganz wenige Doppelspitzen, Erlangen etwa als einzige weitere in Bayern, und bundesweit vielleicht noch zwei, drei Geschäftsstellen.

STEFANIE KRAMMER: Für mich ist es etwas Besonderes, dass das alles so geklappt hat mit der Wahl. Ich bin vor elf Monaten Mutter geworden. Dass die IG Metall das möglich macht, in dieser Phase Karriere zu machen, macht mich ein bisschen stolz.

 

Warum hat es so lange gedauert, bis Frauen bei der IG Metall in Führungspositionen kamen?

WANKEL: Zum einen sind Frauen bei uns nach wie vor bei der Mitgliedschaft in der Minderheit – das liegt auch an der Beschäftigtenstruktur unserer Branchen. Da gibt es ganz wenige Branchen, in denen deutlich mehr Frauen arbeiten, Textilproduktion etwa, die ist in München praktisch nicht vertreten. Aber der Anteil der Frauen in Führungspositionen bei der IG Metall hat sich deutlich erhöht. Da sind wir inzwischen bei knapp 30 Prozent, was deutlich mehr ist als der Anteil von Frauen an den politisch Beschäftigten und bei der Mitgliedschaft. Das ist auch durch eine dezidierte Förderung in dem Bereich vorangetrieben worden. Als ich 1997 als Juristin bei der IG-Metall-Bezirksleitung Bayern angefangen habe, hatte ich selber ein kleines Kind, und das war extrem ungewöhnlich. Da wurde gefragt, ob man überhaupt ordentlich arbeiten könne.

KRAMMER: Ich werde auch oft gefragt, wie viel ich jetzt arbeite, und wenn ich sage „Vollzeit“, wird oft gefragt „Wie?“ Das ist immer noch nicht selbstverständlich.

 

Haben Sie beide als Doppelspitze den Anspruch, für mehr Selbstverständlichkeit zu werben?

WANKEL: Auf jeden Fall. Das ist mir ganz wichtig, weil ich über viele Jahre erfahren habe, wie schwierig es ist, sich überhaupt durchzusetzen, und da müssen die Rahmenbedingungen einfach besser werden. Etwa, dass man insbesondere Führung teilen kann. Dass man nicht jede Nacht bis um zwölf oder morgens um drei etwas verhandelt, sondern dass man zeitliche Grenzen setzen kann. Es wird langsam besser, aber es ist immer noch eine sehr stark hierarchisch-männlich geprägte Arbeitswelt.

 

Welche Punkte haben Sie sich noch vorgenommen, die Sie erreichen wollen?

KRAMMER: Unsere Betriebsrätinnen bei BMW haben eine Betriebsvereinbarung zu shared leadership durchgesetzt – dass man Führungsaufgaben in Teilzeit aufteilen kann. Ganz wichtig ist, zu normalisieren, dass auch Männer in Teilzeit arbeiten und Care-Arbeit leisten – weil die immer noch schief angeschaut werden, wenn sie länger als zwei Monate in Elternzeit gehen.

 

Frau Krammer, wollen Sie als junge Frau auch speziell junge Leute für die Gewerkschaft begeistern?

KRAMMER: Auf jeden Fall, ich habe ja als Jugendsekretärin angefangen. Die Generation, die jetzt kommt, ist sehr politisch. Deswegen kann man die gut über den Solidaritätsgedanken für die Gewerkschaftsbewegung gewinnen.

 

Sehen Sie da einen Mentalitätswechsel, auch durch Bewegungen wie Fridays for Future, dass junge Leute eine andere Einstellung haben als noch vor 15 Jahren?

KRAMMER: Sie sind politischer geworden und setzen sich für ihre Interessen ein. Zum einen ist das Klimaschutz, aber auch gute Arbeitsbedingungen und wie man die Work-Life-Balance hinbekommt.

WANKEL: Da hilft, dass wir uns als IG Metall geöffnet haben in Richtung der Umweltschutzverbände. Wir sind da nicht immer einer Meinung, etwa bei der Frage, bis wann es noch Dieselmotoren geben sollte (lacht). Aber der Austausch hilft auch in der gesellschaftlichen Debatte – so hat etwa ein Kollege von uns bei Demonstrationen von Fridays for Future gesprochen. Nicht alle unserer Betriebsräte finden das toll, aber ich bin überzeugt, dass wir als IG Metall, als Gewerkschaft nur vorankommen, wenn es Bündnispartner gibt, mit denen man gemeinsame Projekte voranbringen kann.

KRAMMER: Nur über den Austausch miteinander gelingt es, Verständnis füreinander zu schaffen. Wir haben ein gemeinsames Jugendseminar von IG-Metall-Jugend, Fridays for Future und Jusos, um mal verschiedene Sichtweisen zusammenzubringen und vielleicht gemeinsame Ziele zu entwickeln. Es kann neue Parks in der Innenstadt geben, aber es muss auch weiter Industriearbeitsplätze in der Stadt geben.

 

Direkt gegenüber Ihrer Geschäftsstelle stehen Flüchtlinge aus der Ukraine vor einer Stelle des Amtes für Wohnen und Migration. Gerissene Lieferketten, die berühmten Kabelbäume – wie sehr wirkt sich der Krieg auf Ihre Mitgliedsbranchen aus?

WANKEL: Das wirkt sich sehr stark aus. Beide großen Automobilbauer in München, BMW und MAN, sind bei den Kabelbäumen direkt betroffen, auch wenn es Bezugsquellen in anderen europäischen Ländern gibt. Hier rächt sich der bloße Fokus auf die Kosten – die Unternehmen haben geschaut, dass sie die Zulieferteile möglichst kostengünstig beziehen, und die Produzenten sitzen jetzt in Ländern, die nicht zu den stabilsten gehören.

 

Sehen Sie eventuell einen Trend zur De-Globalisierung, einer Rückkehr von Produktionsstätten näher an den Heimatstandort?

WANKEL: Was ich nicht sehe, ist, dass massiv nach Deutschland zurückverlagert wird. Die Unternehmen wollen etwas unabhängiger von Lieferketten aus Asien werden, aber ich sehe nicht, dass man die Kabelbaumfertigung wieder nach Deutschland holt. Das ist viel Handmontage, einen Kabelbaum baut kein Roboter. Dieser Zug ist abgefahren. Es wäre hilfreich, wenn man generell sagt, man hält die Sachen in Europa, aber das setzt natürlich auch voraus, dass man stabile geopolitische Verhältnisse in Europa erreicht.

 

Zurück zu den Auswirkungen des Krieges - was könnte für die Wirtschaft noch gefährlich werden?

WANKEL: Ganz wichtig ist das Thema Neon – man braucht Neon zur Herstellung von Halbleitern. Die Ukraine ist einer der größten Neon-Lieferanten der Welt. Wir haben dort direkte Auswirkungen, die zu neuen Engpässen in der Halbleiterindustrie führen können.

 

Wie steht es um die Arbeitsplätze?

WANKEL: Bislang ist Arbeitslosigkeit kein Thema, aber man braucht natürlich eine Perspektive. Und es gibt Unternehmen, die sich nach der Pandemie nicht ausreichend um Lieferketten gekümmert haben, die jetzt zusätzlich Schwierigkeiten haben. Ein sehr problematisches Szenario wäre ein Gasembargo. Das hätte dramatische, im Moment nicht beherrschbare Auswirkungen auf unsere Wirtschaft, das sagen sowohl die Arbeitgeber als auch wir.

 

Vielleicht gibt es auch positive Auswirkungen. Es kommen ja auch Arbeitskräfte nach München – glauben Sie, dass eine gute Integration von ukrainischen Geflüchteten möglich ist?

WANKEL: Ich glaube schon. BMW hat ja bereits angekündigt, dass sie dieses Jahr in großem Stil einstellen wollen, weil es so gut läuft. Die Sprachbarriere ist in dem Bereich nicht so groß. Ich glaube, dass es Chancen auf dem Münchner Arbeitsmarkt und im Umland gibt.

 

Mittlerweile sind die meisten Corona-Beschränkungen aufgehoben, die täglichen Infektionszahlen erreichen allerdings immer neue Rekorde – sind Ihre Branchen über den Berg oder gibt es weiterhin Beeinträchtigungen?

KRAMMER: Es gibt weiterhin massive Krankheitsausfälle in den Betrieben, die Lieferketten sind nicht alle komplett auf Vorkrisenniveau gewesen vor dem Krieg gegen die Ukraine, so dass die Auswirkungen da immer noch mitschwingen. Das ist eine unheimliche Belastung auch für die Beschäftigten, die nicht krank sind und die Produktion am Laufen halten müssen. Das muss sich niederschlagen in der Tarifrunde.

 

Wie blicken Sie in die Zukunft – wenn wir uns einem Jahr wiedersehen, wird dann alles besser sein?

WANKEL: Ich erwarte, dass wir die Beschäftigung auf dem sehr guten Level hier in München halten können. Dafür gibt es gute Chancen in den Betrieben, für die wir zuständig sind.

KRAMMER: Und wenn wir sagen könnten: Ja, die Inflation war hoch, aber die Tariferhöhung war noch höher.


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